oder: Warum der Satz "Wer heilt hat Recht" sinnlos ist
"Wer heilt hat Recht." - "Mir/meiner Mutter/meiner Freundin hat es geholfen" - "Tausende zufriedene Nutzer bestätigen..." - Wer hat diese Sätze zur Rechtfertigung sogenannter "alternativer Heilmethoden" noch nicht gehört. Können denn die "tausende zufriedene Nutzer" sich alle irren? Muss man wirklich naturwissenschaftlich erklären können, wie ein Mittel oder eine Behandlung wirkt? Die Antworten lauten: Ja und Nein - in dieser Reihenfolge. Fangen wir mit der zweiten Frage an.
Muss man erklären können, wie ein Mittel wirkt?
Die kurze Antwort ist: Nein. Eine etwas längere Antwort wäre: Nein, aber es ist hilfreich. Um wissenschaftlich abgesichert festzustellen, ob ein Mittel wirkt oder nicht, muss man nicht unbedingt wissen, wie es das tut. Grundsätzlich klärt man die Wirksamkeit insbesondere von Arzneimitteln in klinischen Studien. Diese untersuchen nicht, wie etwas wirkt, sondern ob es wirkt. Allerdings gibt es dabei einiges zu beachten: So kann zum Beispiel die Studie unbewusst davon beeinflusst werden, dass der Patient weiß, dass er oder sie behandelt wird. Auch die Kenntnis des Behandlers kann ein Studienergebnis beeinflussen. Die Auswahl der Versuchsteilnehmer usw. All dies führt zu dem traurigen Ergebnis, dass die Mehrzahl an klinischen Studien zu falschen Ergebnissen führt. Ein Ausweg aus diesem Dilemma bietet sich durch eine sog. Meta-Studie an. Diese untersucht die bisherigen Studien, klassifiziert sie nach verschiedenen Zuverlässigkeitskriterien und ermöglicht so im Idealfall ein Bild von der Wirksamkeit. Schneidet zum Beispiel Mittel A in schlecht verblindeten Studien stets gut ab, in zuverlässig verblindeten Studien jedoch nicht, spricht vieles dafür, das nicht das Mittel wirkt, sondern das Studiendesign. Wenn es eine Erklärung dafür gibt, wie etwas wirkt, wird man vielleicht eher geneigt sein, eine Wirkung anzunehmen, als wenn es gar keine Erklärung dafür gibt. Trotzdem kann man auch bei noch so gut erklärbaren Wirkungsweisen schon deshalb nicht auf den klinischen Versuch verzichten, weil der Mensch (oder auch ein Tier) eben nicht nach Laborbedingungen funktioniert.
Mir hat es geholfen - darum wirkt es.
Lassen Sie mich auf dieses Statement mit einer Frage antworten: "Woher wissen Sie, das Mittel X ihnen geholfen hat?" - "Naja, es ging mir schlecht, ich habe Mittel X genommen und wenig später ging es mir besser." Beweist dies, das Mittel X heilt? Nein. Es beweist gar nichts, denn wir wissen nicht, ob es ihnen ohne Mittel X nicht ebenfalls besser gegangen wäre. Wir wissen auch nicht, ob sie nicht noch etwas anderes getan haben, was vielleicht tatsächlich den Heilungsprozess beschleunigt hat.
Schauen wir uns ein einfaches Beispiel an. Jeder kennt den Spruch "Eine Erkältung dauert mit Behnadlung eine Woche und ohne sieben Tage." Gehen wir - ich habe mir nicht die Mühe gemacht, die durchschnittliche Erkältungsdauer zu recherchieren - einmal davon aus, dass es durchschnittlich sieben Tage dauert, bis unser Immunsystem die Erkältungsviren soweit unter Kontrolle gebracht hat, dass keine Symptome mehr auftreten. Habe ich nun einen veritablen Schnupfen, greife ich zu Mittel X. Und tatsächlich: Am nächsten Tag geht es mir etwas schlechter (der Beipackzettel von Mittel X sagt dazu: Es kann bei der Anwendung zu einer sog. Erstverschlimmerung kommen) und dann klingt der Schnupfen ab. Also wirkt Mittel X. Oder nicht? Hätte ich Mittel X nicht genommen, wäre der Schnupfen wahrscheinlich in der gleichen Zeit abgeklungen - jedenfalls kann ich nicht wissen, dass es nicht so gewesen wäre.
Was zeigt uns das: Man kann die Frage, ob ein Mittel heilende Wirkung hat nur durch einen Vergleich klären. Man muss also klären, wie der Krankheitsverlauf mit und ohne Mittel war. Das wirft allerdings in der Praxis eine Menge Schwierigkeiten auf, und das ist der Grund, warum klinische Studien, die genau das machen, oft daneben liegen. So ist nicht jeder Mensch gleich und auch Erkältung ist nicht gleich Erkältung. Sie mag beim einen ohne Behnadlung nach einer Woche weg sein, beim nächsten nach fünf Tagen und beim nächsten dauert es zwei Wochen. Auch verhält sich nicht jeder gleich. Der eine bleibt im Bett, der nächste geht weiter arbeiten. Und dann gibt es noch den sogenannten Placebo-Effekt (über den schreibe ich aber ein andermal...).
Was wir aber in jedem Fall festhalten können: Der Umstand, dass es Ihnen nach Einnahme von Mittel X besser gegangen ist beweist nicht, dass dies auch auf Mittel X zurückzuführen ist. Auch wenn dies bei 100 oder 1.000 Menschen der Fall ist, wissen wir nicht, wie es diesen Menschen gehen würde, wenn Ihnen statt Mittel X unbemerkt ein Placebo untergeschoben wurde. Kurz zusammengefasst: Anekdoten ersetzen keine Daten.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen